Caspar von Schrenck-Notzing hat ein „Lexikon des Konservatismus“ (Leopold Stocker Verlag, Graz 1996) herausgegeben. Um das Positive gleich zu sagen: Das Lexikon ist schön geschrieben und sorgfältig ediert, die geistige Individualität der Beiträge ist gewahrt, so daß man mit andauernder Kurzweil auf angenehme Weise sich darin festliest. In typisch konservativer Manier liegt das Übergewicht auf den Personen, bei den politischen Begriffen hat man sich auf das Allernötigste beschränkt und findet mit der katholischen Soziallehre sein Genügen. Daß das Lexikon das Schwergewicht auf die Personen-Artikel legt, ist dem Nicht-Konservativen wiederum sehr genehm, denn über die konservativen Autoren sollte er schon etwas wissen und möchte gleichwohl von der einschlägig-weitschweifigen Lektüre entlastet sein. Soweit zum Löblichen des Lexikons.
Tadelnswert ist, daß das Lexikon schon im Titel den nach des Herausgebers Hinweis im Vorwort zu urteilen wohl programmatisch zu nehmenden Anglizismus „Konservatismus“ statt des herkömmlichen Ausdrucks „Konservativismus“ führt. Inkonsequenterweise nennen die Autoren ihre Richtung aber weiterhin „konservativ“ und nicht „konservat“. Auch ihren Lieblingsgegner nennen die Konservativen weiterhin „Liberalismus“ statt „Liberismus“, und selbst der „Sozialismus“ wird nicht zum „Soziismus“ entstellt. Aber der geneigte Leser wird diesen Fall wohl ganz liberat sehen.
Notorisch ist die Abneigung der Konservativen gegen alle Arten von Theorien und Systemen, folglich zeigen sie auch so viel Lebensart, uns nicht mit einer Theorie des Konservativismus zu belästigen. (Es sei denn, man hält wie Friedrich Romig, der aushilfsweise Cheftheoretiker des Bandes, die Dogmatik der römischkatholischen Kirche für die konservative Lehre schlechthin.) Den titelgebenden Sachartikel hat der Chef des Unternehmens selber verfaßt. Er unterscheidet klassischen (1770-1848), bürgerlich-nationalen (1848-1918) und modernen (seit 1918) Konservativismus, wobei v. Schrenck-Notzing die jeweils umlaufenden Ideen zum Nennwert nimmt und nicht das Bleibende im Wandel der historischen Kostüme sieht: den Produktionsfaktor Boden.
Die konservativen Autoren des Lexikons wollen von Immobilien nicht reden, aber auch vom Konservativismus nicht schweigen. Sie halten sich folglich am Überbau der Ideengeschichte fest, der literarisch durchaus üppig. Es versteht sich daher, daß der Artikel „Konservative Revolution“, den Karlheinz Weißmann verfaßt hat, zum Wortemachen über Konservativismus das Nichtbegreifen von Revolution hinzufügt und das ganze trotzdem einen „paradoxen Begriff“ nennt. Dafür, daß Konservativismus politischer und ideologischer Ausdruck des Produktionsfaktors Boden ist, liefert nicht nur das Lexikon selber zahlreiche Belege (siehe Adel, Agrarparteien, Bund der Landwirte, DNVP, usw.), sondern auch sein Verlag, dessen Programm auf ein bäuerliches Lesebedürfnis zugeschnitten ist. Die Autoren wagen sich nicht, das Offenkundige offen auszusprechen, denn das wäre teuflischer Marxismus! Ist es ja auch. Und die entsprechende Definition einer konservativen Revolution lautet: Umkehrung der wesentlichen Grund- und Bodenrechtsverhältnisse eines Gemeinwesens dergestalt, daß ein neues und höherentwickeltes Verhältnis wesensbestimmend wird.
Das Stichwort „Politik“ fehlt, das Stichwort „Staat“ nicht: Helmut Quaritsch, Herausgeber der juristischen Fachzeitschrift „Der Staat“, schreibt gepflegt Übliches und tut so, als hätte er Carl Schmitts großen und wahren Satz, wonach der Begriff des Staates den Begriff des Politischen voraussetzt, überhört. Unter dem Artikel „Kirche“ handelt Friedrich Romig allein das katholische Kirchenverständnis ab, was eine gewisse konservative Folgerichtigkeit hat, denn die katholische Kirche ist unter allen Grundeigentümern des Abendlandes der älteste und größte. Im Artikel „Werte“ versucht Romig eine Güterlehre im Anschluß an seinen Lehrer Othmar Spann und verwechselt wie dieser Güter mit Waren und den Tauschwert mit dem Nutzen, also dem anderen Gut, das der Verbrauch eines Gutes erzeugt. Von der objektiven Wertlehre der klassischen politischen Ökonomie scheint der Wiener Ökonomie-Dozent so wenig zu halten, daß er sie noch nicht einmal erwähnt, und vom Gesetz des Gesamtnutzens, wonach der Nutzen aller Produktionsmittel eines Gemeinwesens seine Konsumgüter, der Nutzen aller seiner Konsumgüter aber seine Gesamtarbeitskraft ist, scheint er wirklich noch nichts gehört zu haben.
Wer sich bloß eine konservative Weltanschauung aneignen möchte und nicht den Ehrgeiz nach einer nationalen Sicht der Dinge verspürt, die neben dem konservativistischen Standpunkt immer auch die Notwendigkeit und Berechtigung der liberalistischen und sozialistischen Gegenstandpunkte begreifen und daher das Ganze verstehen muß, der ist mit diesem Lexikon und seinen vielen Literaturhinweisen sehr gut bedient. Die Lektüre sei aber sowohl den Konservativisten als auch den Nationalisten empfohlen!